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 | Ich beginne zu glauben, dass es wieder Krieg geben wird. | |
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Vorwort Ich beginne zu glauben, dass es wieder Krieg geben wird (ohne Fußnoten) | |
Seit etlichen Jahren mehren sich die schlechten Nachrichten, darunter die folgenden:
- Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich.
- Ein wachsender Anteil unter den Menschen kann seinen Lebensunterhalt durch Arbeit nicht mehr sichern.
- In unserer Gesellschaft werden zu wenige Kinder geboren, das gilt ganz besonders für die gebildete Mittelschicht.
- Die zukünftige Finanzierbarkeit der Renten, Pensionen und des Gesundheitssystems ist mehr als fraglich.
- Anteilsmäßig immer mehr Menschen sind chronisch krank.
Das Finanzsystem ist instabil und muss häufig staatlich gestützt werden.
- Viele Staaten sind überschuldet, einige stehen unmittelbar vor dem Staatsbankrott.
- In vielen unterentwickelten Ländern bekommen die Menschen zu viele Kinder, obwohl gleichzeitig Hunger, Armut und Elend vorherrschen.
- Die Gefahr des internationalen Terrorismus wächst.
Das Klima wandelt sich.
- Zahlreiche wichtige Ressourcen, inklusive der fossilen Brennstoffe, neigen sich dem Ende zu.
- Viele biologische Arten sind durch das Wirken des Menschen entweder bereits ausgestorben oder sterben bald aus.
- Der Mensch entzieht sich sukzessive seine eigene Lebensgrundlage.
Man fragt sich unwillkürlich: Was ist das und was treibt es an? Kann man es aufhalten, oder müssen wir uns auf absehbare Zeit daran gewöhnen? Wird es noch schlimmer werden? Wird die Menschheit vielleicht sogar ganz von unserem blauen Planeten verschwinden?
Angesichts der nicht enden wollenden Finanzkrise bekannten einige, politisch eher als konservativ geltende Autoren, sie begännen zu glauben, dass die Linke mit ihren Thesen und Analysen recht hat. Die beiden Artikel von Charles Moore und Frank Schirrmacher nahmen – wie der Titel andeutet – einen wesentlichen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung des vorliegenden Buches, nicht jedoch auf dessen naturwissenschaftliche und systemanalytische Herangehensweise.
Charakteristische Merkmale unseres Universums sind dessen Expansion und der energetische Zerfall. Sie definieren den kosmologischen und thermodynamischen Zeitpfeil, die Ausdruck seines eigenen Strebens in Richtung Wärmetod sind. Der Kosmologe Stephen Hawking argumentiert in seinem Buch "Die illustrierte kurze Geschichte der Zeit", dass es intelligentes Leben nur geben kann, wenn sich das Universum ausdehnt und der kosmologische, der thermodynamische und unser eigener psychologischer Zeitpfeil in die gleiche Richtung weisen. Oder in den Worten des Physikers Peter W. Atkins:
Indes, mag sie auch noch so verborgen sein, die Triebfeder aller Schöpfung ist der Zerfall, und jede Handlung ist die mehr oder weniger unmittelbare Folge der natürlichen Auflösungstendenz.
Ich stellte mir die Fragen: Angenommen, es stimmt, was die Physiker und Kosmologen behaupten, dass nämlich unser Universum vor ca. 13,75 Milliarden Jahren aus einer Art Singularität beziehungsweise einem Urknall heraus entstanden ist, sich seitdem ausdehnt und zugleich thermodynamisch zerfällt und dabei – ohne den Eingriff eines externen Schöpfers und ausschließlich auf der Grundlage der in ihm geltenden Naturgesetze – die Materie, Milliarden Galaxien, schwarze Löcher, unsere Sonne, die Erde, den Mond, Pflanzen, Tiere und sogar uns Menschen hervorgebracht hat, wir also gewissermaßen nicht die Kinder Gottes, sondern des Urknalls sind, wie konnte es darin dann zu Lehman Brothers und zur Finanzkrise kommen? Oder zu konservativen und linken Gesinnungen? Und was heißt in einer solchen Welt, angesichts von Milliarden Galaxien und schwarzen Löchern, die Linke könnte recht haben? Und schließlich: Was ist eigentlich Leben?
In einem zerfallenden Universum kann es keine dauerhaften passiven Systeme von beliebig großer Komplexität geben, jedenfalls wäre ihr Auftreten extrem unwahrscheinlich. Schon nach kurzer Zeit würden sie sich wieder in Bestandteile auflösen.
Lebewesen sind demgegenüber aktive, informationsverarbeitende Systeme. Sie streben danach, dem universalen Streben nach Zerfall über einen möglichst langen Zeitraum zu widerstehen. Da das Universum in Richtung Zerfall strebt, müssen sie gewissermaßen in die entgegengesetzte Richtung nach Erhalt streben. Hierdurch können sie im Laufe der Zeit zu praktisch beliebiger Komplexität heranwachsen.
Sie haben es als sogenannte selbstreproduktive Systeme beziehungsweise als Evolutionsakteure – durch welchen Mechanismus auch immer – geschafft, gegenüber ihrer Umwelt Kompetenzen zu entfalten, mit deren Hilfe sie aus ihr Ressourcen erlangen können, um ihre Kompetenzen zu reproduzieren, das heißt, zu erhalten und zu erneuern. Ferner streben sie danach, genau das zu tun, denn nur so können sie ihre komplexen Kompetenzen und die mit ihr verbundenen Ordnungszustände – auf Kosten ihrer Umwelt – eine Zeit lang bewahren und gegebenenfalls sogar weiterentwickeln. Anders gesagt: Lebende Systeme versuchen, Kompetenzverluste zu vermeiden. Sie verhalten sich nachhaltig gegenüber ihren eigenen Kompetenzen und ausbeutend gegenüber ihrer Umwelt.
Als das Leben immer zahlreicher und die Ressourcen folglich knapper wurden, kam der Wettbewerb unter den Lebewesen hinzu. Ab da ging es für die lebenden Systeme nicht mehr nur darum, den Anschluss gegenüber dem Streben des thermodynamischen Zeitpfeils nicht zu verlieren, sondern gegenüber dem Streben aller anderen Lebewesen in der gleichen Umwelt auch. Wenn das Leben selbst einen Großteil der Umwelt ausmacht, dann müssen sogar relative Kompetenzverluste – relativ in Bezug auf die Kompetenzen der anderen Lebewesen in der gleichen Umgebung – vermieden werden, um weiterhin am Spiel der Evolution teilnehmen zu können. Unter solchen Verhältnissen bildet sich dann ein auf dem sogenannten Red-Queen-Prinzip beruhender Wettbewerbsmechanismus aus, der unter anderem für Phänomene wie die Gier verantwortlich zeichnet, wie im Laufe des Buches noch erläutert wird.
Das Problem ist nun aber, dass all dies nicht nur für uns Menschen beziehungsweise allgemeiner für Lebewesen gilt, sondern für noch komplexere Systeme – sogenannte Superorganismen –, wie zum Beispiel Honigbienenstaaten und menschliche Unternehmen, genauso. Auch diese Systeme unterliegen dem thermodynamischen Zeitpfeil des Universums. Auch sie sind im Allgemeinen einem Wettbewerb um knappe Ressourcen ausgesetzt. Auch sie würden schon bald zerfallen, wenn sie sich nicht beständig nachhaltig gegenüber ihren Kompetenzen und ausbeutend gegenüber ihrer Umwelt verhielten. Unser Universum – und natürlich auch der Wettbewerb um knappe Ressourcen – zwingt sie zu ihren Verhaltensweisen. Ich rede an dieser Stelle von grundsätzlichen Naturprinzipien unseres Universums und nicht von Sachverhalten, die in irgendeiner Weise "umstritten" sind.
Insgesamt ergibt sich das Bild einer belebten Welt aus lauter Evolutionsakteuren, die allesamt bestrebt sind, Kompetenzverluste zu vermeiden. Statt des gnadenlosen Kampfes ums Dasein steht in ihr das allseitige und fortwährende individuelle Bemühen, sich nicht gegenüber der Vergangenheit und anderen zu verschlechtern, im Vordergrund.
Man kann, wie im Buch gezeigt wird, praktisch alle eingangs angeführten aktuellen Großprobleme der Menschheit auf der Grundlage dieser wenigen fundamentalen Naturprinzipien erklären. Weitere, darüber hinausgehende Annahmen sind nicht erforderlich, insbesondere keine politischen. Man braucht beispielsweise keinen Karl Marx, um die zunehmende Verarmung unserer Gesellschaft prognostizieren zu können. Physik, Evolutions- und Systemtheorie tun es bereits. Dass ich damit indirekt auch behaupte, die Kultur- und Sozialwissenschaften seien eigentlich ebenfalls Naturwissenschaften, versteht sich von selbst. Wenn Menschen keine Geschöpfe Gottes, sondern lediglich Naturphänomene innerhalb unseres Universums sind, bleibt im Grunde keine andere Alternative.
Eine wesentliche Rolle bei der zunehmenden Ausbreitung von Armut in unserer Gesellschaft spielt der Umstand, dass in Marktwirtschaften zwei unterschiedliche Systemklassen an Evolutionsakteuren unmittelbar aufeinandertreffen, nämlich Menschen und menschliche Superorganismen – sprich Unternehmen –, wobei Erstere für Letztere primär Ressourcen (Humanressourcen und Geldbesitzer) darstellen. Weil moderne menschliche Gesellschaften mit Geschlechtergleichberechtigung ihr Humanvermögen jedoch gewissermaßen wie Gemeingut verwalten, kommt es unter den Verhältnissen zwangsläufig zur Tragik der Allmende, das heißt zum demografischen Wandel mit einer sich anschließenden gesellschaftsweiten Verarmung beziehungsweise zu kollektiven Kompetenzverlusten mit massenhaftem Leid. Leid ist in dem Sinne ein evolviertes Gefühl. Es hält Lebewesen dazu an, die eigenen Kompetenzen zu bewahren und hierdurch Gefühle des Leids zu vermeiden.
Das Problem wird nicht einfach wieder verschwinden. Wir mögen die Finanzkrise lösen, die Staatsverschuldungsproblematik beheben und vielleicht sogar den Klimawandel aufhalten können, die beschriebene Entwicklung wird sich – ohne durchgreifende gesellschaftliche Veränderungen – hingegen fortsetzen. Da ich jedoch längst der Illusion entwachsen bin, Menschen könnten bei sich anbahnenden größeren Katastrophen ein Stück weit von ihren persönlichen Kompetenzbewahrungsinteressen zurücktreten, glaube ich, dass es erst wieder gehörig krachen muss, bevor angemessen reagiert wird. Anders gesagt: Ich beginne zu glauben, dass es wieder Krieg geben wird.
Das Buch steht letztlich für ein neues Weltbild, für ein konsequent evolutionär-systemisches Denken und die bedingungslose Akzeptanz naturwissenschaftlicher Grundprinzipien. Sein theoretisches Fundament ist jedoch nicht die Darwinsche, sondern die allgemeinere und breiter anwendbare Systemische Evolutionstheorie. Dafür gibt es wesentliche Gründe:
- Die Darwinsche Evolutionstheorie lässt sich nur auf die Wildnis anwenden. Sie ist eine rein biologische Theorie, die für die komplexen evolutionären Verhältnisse in menschlichen Zivilisationen prinzipiell ungeeignet ist.
- Sowohl die Darwinsche Evolutionstheorie als auch ihre Variante, die Theorie der egoistischen Gene, beruhen auf Voraussetzungen und Grundannahmen, die sich – anders als die der Systemischen Evolutionstheorie – nicht auf grundsätzliche physikalische Naturprinzipien zurückführen lassen.
- Bei einer ausschließlichen Beschränkung auf genetisch vermittelte Kompetenzen und der Annahme von populationsweit einheitlichen Reproduktionsinteressen, wovon die biologischen Evolutionstheorien – anders als die Systemische Evolutionstheorie – ausgehen, lassen sich die Darwinsche Evolutionstheorie und die Theorie der egoistischen Gene aus der Systemischen Evolutionstheorie herleiten. Es handelt sich bei ihnen folglich um enge Spezialfälle einer allgemeineren Theorie.
- Die Systemische Evolutionstheorie besitzt ein viel größeres Anwendungsspektrum. Auch kann sie die Verhältnisse in menschlichen Sozialstaaten verlässlicher als die biologischen Evolutionstheorien beschreiben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschheit die vor ihr stehenden Aufgaben – wenn überhaupt – nur dann auf halbwegs friedliche Weise wird bewältigen können, wenn sie die Triebkräfte hinter den aktuellen irritierenden Entwicklungen kennt, oder anders gesagt, wenn sie ein evolutionäres Modell ihres eigenen Tuns besitzt. Wir stehen momentan nicht nur vor einer Vielzahl gewaltiger Probleme, sondern wir haben auch konzeptionelle Defizite. Uns fehlen geeignete Theorien, die uns durch die Wirren der Zukunft lenken könnten. Adam Smith, Karl Marx oder John Maynard Keynes werden uns dabei mit Sicherheit nicht weiterhelfen können.
Das Buch dient deshalb auch dazu, das enorme Anwendungspotenzial der Systemischen Evolutionstheorie zu demonstrieren. Im Grunde handelt es sich bei ihr um ein unverzichtbares theoretisches Werkzeug zur halbwegs verlässlichen Zukunftsforschung und generationenübergreifenden politischen Steuerung. Wenn man weiß, wie Evolutionsakteure – und damit sowohl Menschen wie Unternehmen – sich aufgrund der in unserem Universum geltenden Grundbedingungen verhalten, ja verhalten müssen, kann man bei geplanten politischen Maßnahmen leichter für eine Gewährleistung der Generationengerechtigkeit sorgen.
Obwohl ich, was unsere nahe Zukunft angeht, eher skeptisch bin, endet das Buch dennoch mit einer Handvoll, sich vorwiegend aus der Systemischen Evolutionstheorie ableitenden Vorschlägen, die dazu beitragen könnten, einige der anstehenden Großprobleme der Menschheit zu lösen oder doch zumindest abzumildern. Dabei stehen – ganz evolutionstheoretisch gedacht – einerseits Fortpflanzungsaspekte im Vordergrund, die die desaströsen Auswirkungen sowohl der maßgeblich auf unevolutionären Ideologien wie dem Antibiologismus oder der Gendertheorie beruhenden angeblichen Gleichberechtigung der Geschlechter als auch des Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt adressieren, andererseits die nach meinem Dafürhalten viel zu starke Ausrichtung von Geldwirtschaften auf energetische Ressourcen statt auf Wissen und Information.
Absolut unverzichtbar scheint mir der Vorschlag "Mondprogramm" zu sein, einem umfangreichen interdisziplinären Projekt, bei dem herausgefunden werden soll, mit welchen Problemen wir es überhaupt zu tun haben, wie seriös sie sind, und wie man sie lösen könnte. Daran schließen sich die eher pragmatischen Vorschläge Besitzbeschränkungen bei energetischen Ressourcen, Stärkere Trennung von Information und Energie in der Ökonomie, Zügelung der Superorganismen, Evolutionär-systemisches Denken in der Politik, Beherrschung der Bevölkerungsentwicklung und Sicherstellung der Nachhaltigkeit des Humanvermögens an.
Saasen, im Oktober 2011
Peter Mersch
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